Friedrich Nietzsche und Max Weber, Albert Camus und Martin Heidegger, Georg Lukács und Albert Einstein, Karl Barth und Peter Sloterdijk haben sich mit der "Phantasie" "Der Großinquisitor", dem 5. Kapitel des fünften Buches aus dem Roman "Die Brüder Karamasow" auseinandergesetzt,
also belebte mich heute morgen beim Blinzeln in den Himmel über meinem Dachfenster der Gedanke, das als eigenes Reclam-Heft erschienene Werk noch einmal zu lesen und mir erneut Gedanken darüber zu machen, da ich bei den vorhergehenden Versuchen, die viele Jahre zurückliegen, starke Impulse in mir, den christus-seligen Dostojewskij als Schriftsteller abzulehnen statt mich durch triefende Liebesbekenntnisse zu Gottes Sohn hindurchzukämpfen.
Der Inhalt der "Phantasie" in meinen Worten:
Wir befinden uns in Sevilla zur Zeit der Inquisition. Zum "Ruhme Gottes" brennen fast täglich Scheiterhaufen mit Ketzern, am Tag zuvor auf dem Platz vor dem Dom fast einhundert von ihnen.
Da steigt Jesus Christus vom Himmel herab, wie er es schon einige Male nach seinem Tod und seiner Wiederauferstehung getan, um einzelne Gerechte aufzusuchen, Märtyrer und Eremiten, wie diese in ihren Lebensbeschreibungen glaubhaft geschildert haben.
Noch riecht der Platz nach dem verbrannten Fleisch und wirbelt die schwarze Asche des Sühnetodes bei den Windstößen des noch kalten Frühjahres durch die Luft.
Unauffällig und still steht er am Rande des Platzes, strömen Liebe und Barmherzigkeit aus seinen Augen und seinem Herzen. Und siehe: Die Menschen erkennen ihn! Sie strömen zusammen, nähern sich und umringen ihn, die, die gestern vor Wut und der heimlichen Lust schrien, mit steifem Glied in der Hose beim Anblick der sich windenden Leiber, dem entsetzten Wimmern um Gnade, dem Betteln, die Kinder zu schonen, jene Lust am Grauen des Sterbens der anderen, sie sind nun verwandelt von seinem Blick der Güte, der vollkommenen Ruhe und Liebe. In ihm brennt eine Sonne der Liebe, aus seinen Augen ergießt sich eine Kraft über die Menschen, die sie jubeln lässt diesmal vor Freude und Glück, einander umarmen und weinen.
Er erhebt seine Hände und segnet ihre schmutzigen Seelen und Herzen und die Menschen werfen sich nieder, küssen sein Gewand und sind zutiefst verwandelt. Ein Greis ruft ihm zu: "Herr, Herr, ich bin blind. Heile mich, damit ich dich schaue." Und er heilt ihn. Das Volk stöhnt auf und die Menschen brechen aus in Schluchzen, küssen den Erdboden bevor seine Füße die Stellen berühren. Die Kinder haben Blumen geholt, werfen sie in die Luft und singen: "Hosianna, Hosianna!"
Vor dem Portal des Domes bleibt er stehen, vor einem kleinen weißen Kindersarg, der dort zum letzten Gottesdienst geführt werden soll, in ihm das unschuldige Antlitz eines siebenjährigen Mädchens. Die Mutter des Kindes wirft sich ihm zu Füßen: "Herr, wenn Du es bist, so erwecke mein Kind zum Leben zurück."
Und er spricht: "Talitha Kumi!"
Das Mädchen aber öffnet die Augen, erhebt sich und blickt lächelnd um sich.
Das Volk bricht in tosenden Beifall aus, die Mutter des Kindes gebärdet sich beinahe toll, wechselt von Winseln ähnlichen Klagen zu sich überschlagendem Lachen, während sie das Kind mit Küssen bedeckt.
Da steht plötzlich, in alter, grober Mönchskutte der Großinquisitor vor ihm.
(Fortsetzung morgen)