"Nicht der zweifelnde Rebell ist glücklich, sondern wer den Glauben gefunden in der Herde und weiß, welchen Weg zu gehen. Du gabst uns das Recht zu binden und zu lösen, Du kannst es uns nun nicht mehr nehmen."
"Du darfst es uns jetzt nicht mehr nehmen!" wiederholte er sich korrigierend nach einer Pause und blickte ins Leere.
Es ging ein leichter Luftzug modriger Kellerluft, die Kerzen flackerten stärker und warfen ihr Licht unruhig auf das erschöpfte Gesicht des Großinquisitors. Obwohl er zu frösteln schien in seiner dicken braunen Kutte, hatte er mehrere Schweißtropfen auf der Stirn, über die er mit der Hand wischte. Er ging zu dem Tisch, vor dem ein Hocker stand und ließ sich darauf fallen, als hätte er die Kraft nicht mehr, sich aufrecht zu halten, und stellte den Leuchter auf den Tisch. Man konnte seinen Atem hören und ein Rasseln, als seien seine Lungen verschleimt und fehlte ihm die Stärke zum Abhusten. Er versuchte es, was ihm aber nicht gelang.
Nach einigen Minuten richtete er seinen Blick wieder auf ihn:
"Als ich ein kleiner Junge war, habe ich Dich aus ganzem Herzen geliebt. Nichts schien mir schöner, als Dich zu lieben, Dich, meine Mutter, Respekt zu haben vor Gott und meinem Vater. Ich stand mit mir in Einklang und das Leben war mir ein Wunder. Kein Unglück, das mich länger hätte betrüben können. Ich las täglich die Evangelien und lernte viele Kapitel auswendig, ohne ihre Tiefe zu begreifen zwar, aber mich daran berauschend, dass sie bedeutsam und ich mit meinem Herzen vorzutragen wusste. Die Erwachsenen, meine Lehrer, alle liebten mich dafür und lobten, legten ihre Hand auf meinen Kopf. Nie fehlte mir Geld für Obst und Backwaren bei den Händlern, wie es mir beliebte. Oft schenkte ich meinen Freunden davon.
Dann aber lag ich eines Nachts im Bett und begann über die Worte nachzudenken. "Amen, ich sage euch: Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod
nicht schmecken, bis sie den Menschensohn in seinem Reich kommen sehen." hattest Du gesagt! Du hattest Dein baldiges Wiederkommen versprochen. Mehrfach!
Das stimmt doch nicht, dachte ich zum ersten Mal, als ich zwölf Jahre alt und mit diesem: "Das stimmt doch nicht", war mein Glück wie das einer schön gefärbten Kugel aus Glas zerplatzt!
Seitdem hielt ich mich fest an Deinem Satz: "Wenn einer mir folgen will, verleugne er sich, nehme sein Kreuz und folge mir nach. Wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, wird es finden." Ich hielt mich fest daran, war aber nicht mehr glücklich!"
Der mächtige Mann, Herr über Leben und Tod, der tausende in die Flammen geschickt, schluchzte, zweimal, fing sich und fuhr fort, seine Stimme brüchig, klagend und trotzend:
"Ich habe das Kreuz auf mich genommen und wurde Sevillas Großinquisitor, vor dem selbst der König zittern muss. Du wolltest die Menschen befreien, doch hast Du heute mit Deinen eigenen Augen gesehen, was die Menschen mit ihrer Freiheit gemacht haben: Sie haben sie mir zu Füßen gelegt, damit ich ihnen sage: Ja, ich nehme im Namen des Herrn die Last der Sünden von euch, auf dass ihr eingeht, rein und selig in das Reich des göttlichen, ewigen Lebens.
Sie geben ihre Freiheit auf, damit ich sie mit einer Lüge glücklich mache."
Er versuchte seine Stimme zu empören, aber ein Hustenanfall hielt ihn ab. Als er sich erholt, wiederholte er keuchend: "Mit einer Lüge, mit einer Lüge!"