Als Goldmund die Statue des Abtes Daniel fertig gestellt hatte, hieß er Erich, die Werkstatt zu säubern. Er verhängte das Werk mit Tüchern und ließ nur die Gestalt des Abtes ans Licht. Dann ging er zu seinem Freund Narziss, wartete seiner geduldig, da er beschäftigt und führte zur Stunde des Mittags den Freund in seine Werkstatt und vor die Figur. Narziß stand und schaute, ließ sich Zeit, während Goldmund hinter ihm und den Sturm seines Herzens zu bändigen suchte. "Wenn einer von uns beiden nun nicht besteht, so ist es böse", dachte Goldmund.
Die Minuten wurden ihm lang und er preßte die heißfeuchten Hände ineinander. Da wendete Narziß sich um, ihm zu und Goldmund sah in dem Gesicht des Freundes ein Blühen, ein Lächeln der Liebe und Hingabe, Einsamkeit und Stolz durchbrechend aus einem Herzen voll der Liebe.
"Goldmund" sagte Narziss leise, "Ich kann dir über deine Kunst nichts sagen, was dir nicht lächerlich wäre, aber beim ersten Anblick dieses von dir geschaffenen Evangelisten habe ich unseren Abt Daniel wiedererkannt und alles, was er uns bedeutet hat: Würde, Güte, Einfalt. So wie er hier vor uns steht, steht alles, was uns damals heilig war und jene Zeit unvergeßlich macht. Du hast mich mit diesem Anblick beschenkt, mein Freund. Du hast mir unseren Abt Daniel wiedergegeben und du hast dich mir, zum erstenmal, ganz erschlossen. Jetzt weiß ich, wer du bist. Doch laß uns nicht mehr darüber reden. Ich darf es nicht!
O Goldmund, dass uns diese Stunde gekommen ist!"
Es war still im großen Raum. Goldmund sah, wie sehr sein Freund bewegt. Verlegenheit engte ihrer beiden Atem.
"Ja", sagte Goldmund, "auch ich bin froh. Es ist nun Zeit, dass Du zu Tische gehst."