Freitag, 29. Mai 2009

Das Problem der Einzelsocken

Wieso Problem, mag mancher fragen, warum soll eine harmlose Einzelsocke ein Problem darstellen?

Eine Einzelsocke wäre auch für mich kein Problem, aber ich habe mindestens 250 davon, schätze ich, eine ganze Bananenkiste voll, wobei ich den Deckel zwar ganz herünterdrückte, indem ich mich darauf kniete, aber die Socken drückten ihn ein Stück weit wieder nach oben.

Normalerweise hätte ich die Einzelsocken nicht in die Bananenkiste verbannt, monatelang, viele wohl jahrelang durften sie ziemlich gleichberechtigt neben den Pärchensocken liegen.

Doch dann geschah folgendes: ein Seminar, wichtiger Bestandteil: gruppenaktives Interagieren oder so ähnlich, auf jeden Fall sollten wir unsere Stühle nehmen, eine schöne Runde bilden, so dass nichts "Störendes" zwischen uns, Metaebenen erfahren werden könnten, usw.

Bei solchen Aktionen kann man sich meistens ausruhen, entspannen und lässt die anderen machen, wenn man aber Lust hat, schaltet man sich ein, gibt zu verstehen, dass etwas Wichtiges das eigene Herz bedränge und nun seinen direkten Weg zu den Herzen der anderen Gruppenteilnehmer suche: Seminarleiter fördern soetwas generell.

Ich hatte meine "Rücklehnphase", ein bisschen abschalten, andere agieren lassen und in Augenschein nehmen. Mir gegenüber sass die Kollegin des Tochterunternehmens, zwei Stockwerke höher, hatte Sie bisher nur im Treppenhaus getroffen und der Kantine, ein Wort mit ihr gewechselt noch nie, obwohl ich durchaus Lust dazu gehabt hätte.

Nun war offensichtlich der Tag gekommen, nun war es praktisch unmöglich, nicht mit ihr in Gespräch zu kommen, ausserdem sass sie mir direkt gegenüber (ich hatte ein wenig nachgeholfen).

Alles begann ausserordentlich gut: während sie die ersten fünf Minuten meinem Blick so leicht auswich, schaute etwa zwanzig Zentimeter an meinen Augen vorbei, gab es dann den Moment: unsere Augen treffen sich und sie lächelt, kein zurückhaltendes, nein ein völlig offenes, erstaunliches Lächeln für den ersten Blickkontakt.

Natürlich habe ich Takt genug, um dann höflich den Blick abzuwenden, hierhin, dorthin, sage ein Sätzchen, alles nur mit der Absicht ihrem Blick wieder zu begegnen und richtig: zum zweiten Mal. Wie ein schönes Hasch-mich-Spiel.

Wieder Zeit, dass ich etwas sage, diesmal ausführlicher, komplexer: Bewusstseinsebenen, meinThema, damit sie gleich merkt, was ich intellektuell drauf habe.

Ich spreche, führe auch Freud an, da platzt sie los, lacht und hält sich anschliessend die Hand vor dem Mund.

Nicht nur ich, auch der Seminarleiter sind irritiert, er fragt nach ihrem Befinden, ihren Gründen.

Offensichtlich kann sie nicht mehr, prustet und bringt schubweise hervor:

der Herr - mir gegenüber - hat zwei, zwei - verschiedene Socken an!

Selbst der Seminarleiter, obwohl sich beherrschend, ist amüsiert.

Am Morgen hatte ich wohl übersehen, dass hellblau sich doch recht deutlich von schwarz abheben kann. Bisher hatte noch nie jemand gemerkt, wenn ich zwei Einzelsocken anhatte, deren Farben sich nur leicht unterschieden, so kamen letztlich alle Einzelsocken zu ihrem Recht, meine Füsse kleiden zu dürfen.

Das Seminar lief dann in recht lockerer Form weiter, ich konnte Boden gut machen, indem ich statt über Bewusstseinsebenen über Konventionen sprach, sogar den kühnen Plan entwickelte, diese Angelegenheit zum Anlass zu nehmen, das noch einmal ganz persönlich nachzubesprechen: aber sie war unmittelbar bei Beendigung des Seminars entflogen.

Ich besorgte mir die Bananenkiste und gelobte: sechs Wochen; Socke für Socke
und ich habe das "Problem" gelöst.