Donnerstag, 28. April 2011

Der Gral

Schon in jungen Jahren auf dem Gymnasium wurde ich mit dem Wort "Gral" konfrontiert, der "Gral" sei ein Motiv, eventuell sogar Leitmotiv, desweiteren ein bedeutender Mythos, wenn nicht gar der bedeutenste Mythos, rief die Lehrerin mit leuchtenden Augen, tiefbewegt, die Hände ringend, ineinander gefaltet, den Blick erst an die Klassendecke, dann auf den Boden, und wieder zurück an die Zimmerdecke. Ich rechnete damit, sie würde schluchzen, hörte aber nichts, auf jeden Fall war ich ob dieser emotionalen Exaltation erleichtert, denn ich wusste, ich müsste weder Einzelheiten zur Bedeutung des Grals nennen, noch müsste ich erklären, was ein Mythos bzw. ein Motiv. Zu allen drei Begriffen, Mythos, Gral, Motiv, hätte ich nichts sagen können, da ich sie zum ersten Mal in meinem Leben hörte, eingeschüchtert, dass diese doch offenbar so wichtigen Begriffe mir erst jetzt begegneten, schliesslich gab ich mir die grösste Mühe, nicht mehr als tumber Tor dazustehen, mikroskopierte schon selbstständig, hatte diverse Male Knallgas hergestellt und zur Explosion gebracht, las Bücher wie: "Was ist was" oder "Wie funktioniert das" und wünschte mir zu Weihnachten einen Chemiebaukasten, heiss und innig.

Aber Gral? Gral, so erfuhr ich, sei ein Kelch, ein heiliger Kelch, aus dem Jesu mit seinen Jüngern beim letzten Abendmal getrunken habe, - wer`s glaubt, war mein erster Gedanke - dieses Gefäss sei nicht nur heilig, - meinetwegen dachte ich, kannte ja durch meinen Dienst als Messdiener, dass Ritualgegenstände wie der Kelch in der heiligen Messe, pfleglich und mit Respekt zu behandeln seien, erst recht natürlich die Monstranz - dieses Gefäss könne auch Wunder verrichten, spende ewige Lebenskraft, wenn man es nur fände, denn es sei verschwunden.

Es bedürfe eines Helden, der den Gral finde, den König befreie und dadurch ein neues, besseres Zeitalter einleite.

Einige haben gedacht, Kennedy sei der neue Held, Kennedy scheint den Gralskelch aber tatsächlich nicht gefunden zu haben, denn er erwies sich als durchaus sterblich.

Später lernte ich die Sage um den Ritter Parzival kennen, Wagners Oper dazu, entdeckte an mir selbst Züge eines Parzival, machte eine innere Wandlung durch und kann nun, meiner Sache sehr gewiss, verkünden:
einen Gral hat es nie gegeben, wird es auch nicht geben, hört auf, solch nebülösen Illusionen hinterherzulaufen, lasst uns uns alle besser Gedanken machen, wie wir an einer gerechteren Welt arbeiten können, an einer Welt, die Zukunft hat, statt einer Menschheit, die blindlings ins Verderben läuft, statt dass die Menschheit gar offenen Auges ins Verderben läuft!

Lasst uns mutig sein wie die Ritter jener sagenumwobenen Zeiten und kämpfen für Gerechtigkeit, gegenseitige Toleranz und Anteilnahme, über Rassen und Glaubensrichtungen hinweg, lasst uns für eine Welt kämpfen mit sozialer Gerechtigkeit für alle, ohne Ausnahme auf der ganzen Erde, für Frieden, für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, lasst uns die Geheimnisse der Natur erforschen und staunen in Demut vor dem, was wir noch nicht begreifen, Artus und Lancelot, Parzival und Gawain, Merlin und Avalon, sie mögen uns bezaubern mit ihrem märchenhaften Charme, doch eines sollten sie nicht: uns verführen zum Träumen an eine bessere Welt, die von

ALLEINE kommt,

wir müssen uns eine bessere Welt schon
SELBST schaffen!