Mittwoch, 21. Dezember 2016

Der Weihnachtsbrief, Teil 2!

Es war jetzt Zeit den Brief zu lesen! Ihr Herz klopfte wieder, als sie sich dem Café näherte! Es waren zahlreiche vor allem junge Leute dort, die Luft warm, mit einer Mischung aus Zigarettenrauch und Kifferdunst angefüllt. Im Hintergrund hörte man poppige amerikanische Weihnachtsongs, überlagert von Stimmengewirr in durch Alkohol beförderter Stimmung. 

Sie hatte Angst, Angst, den Brief zu öffnen. Vielleicht aber würde dieser Heiligabend der schönste ihres Lebens werden, wenn David schrieb, dass er sich seiner Liebe zu ihr klar geworden und  entschlossen, sein Leben mit dem ihren zu verknüpfen, für immer! Bei diesem Gedanken stiegen ihr Tränen in die Augen, sie musste den Brief nun lesen!

Gegen ihre Gewohnheit hatte sie beschlossen zunächst und dazu etwas Starkes zu trinken, Irish Whisky, doppelt, mit Eis und noch ein Glas Rotwein! Als sie das Rotweinglas am Stiel fasste, sah sie, wie heftig sie zitterte und obwohl der Whisky sehr brannte und sie mehrfach husten musste, trank sie ihn rasch aus und bestellte einen Neuen. Der Whisky wirkte, denn er brannte auch im Magen, im Bauchraum, eine Wärme, die wohlig und entspannend durch  ihren Körper zog und ihr die Gelassenheit gab, das kleine Messer zu nehmen, das sie eigens zu diesem Zweck eingesteckt, um den Brief zu öffnen.

"Meine Liebe", begann der Brief, er begann mit Liebe, er schreibt es, er liebt mich und erneut bekam sie Tränen in die Augen, so dass sie sekundenlang nichts mehr entziffern konnte. 

Das Ende, ich lese das Ende, dann weiß ich es sofort.

"Auch mir fällt das nicht leicht, denn ich habe Dich nach wie vor gern, sehr gern, aber ich fühle, dass ich noch nicht soweit bin, Dir meine dauerhafte Treue zusagen zu können. Mit solchen Ansprüchen auf mein Leben überforderst Du mich und darum, obwohl es mir schwer fällt, so schwer, als müsste ich in mein eigenes Fleisch ein Messer stoßen, glaube ich, ist eine Trennung besser und unumgänglich für uns! Ich habe mich so entschieden aus Respekt, aus einer anderen Form der Liebe zu Dir!"

Schwein! Schwein! Sie hätte schreien wollen: Schwein, Du bist in Australien, hast eine andere, der Du Deinen verdammten Schwanz reinsteckst und wagst es, mich "meine Liebe" zu nennen! Du verdammtes Schwein!

"Wie konnte ich, wie konnte ich solange all die Zeichen übersehen", die abgebrochenen Skype-Gespräche, mal kam jener, dann dieser, die Floskeln, "Schatzli" statt Schatz und dass einer seiner Freunde über sie gesagt hatte, so hatte David es ihr en detail erzählt, sie sei behindert, er warne David, sich dauerhaft an sie zu binden, das gäbe immer Probleme. Wer so stark behindert sei wie sie, müsse auch einen psychischen Knacks haben, das könne nicht ausgeblieben sein und der Freund hatte David versichert, ein besonders erfolgreiches Studium und eine Glanzkarriere sei auf diese Weise so gut wie ausgeschlossen, weil er "viel zu viele Ressourcen gebunden haben" werde, "Karriere und sich lebenslang um einen behinderten Menschen kümmern, das geht nur schlecht zusammen", aber David müsse natürlich selbst entscheiden, so hatte David das Gespräch zusammengefasst, beruhigte sie, dem sei nicht so, und hatte Sex mit ihr! Das Schwein, das verdammte Schwein!

David brauchte Sex, viel Sex und sie hatte ihm gegeben, nicht nur gegeben, sie hatte genossen, zu Anfang tagelang und darum war der Unterschied so ausgeprägt zwischen da und jetzt. Während sie sich zu Beginn berauschten, hatte er vor der Abreise einmal gesagt, er sei zu beschäftigt, nervös wegen der Reisevorbereitungen und sie nur wenig gestreichelt!. 

Er hatte wiederholt gesagt, seine Reise sei ein Test, er glaube zwar sicher, dass er sie liebte, aber man müsse das testen! Und auf diese Weise habe der Schmerz der Trennung einen Sinn! Aus Glauben an die Liebe zu ihr werde durch die Reise unerschütterliche Überzeugung, "aus Verliebtheit die reife Glut der lebenslangen Liebe"!

Der zweite doppelte Whisky, nicht mehr gewohnt zu trinken, verursachte einen leichten Schwindel, sie legte ihr Gesicht auf die Tischplatte und nicht mehr sichtbar für die Besucher des Cafés konnte sie nun weinen, hemmungslos und aus der Tiefe ihrer Seele weinen.