Offener Brief an den Parteivorsitzenden der SPD, Herrn
Sigmar Gabriel!
Sehr geehrter Herr Gabriel!
Bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags sagten Sie, Herr
Gabriel:
„Ich will ausdrücklich sagen, der Koalitionsvertrag ist auch
einer für die kleinen Leute.“ (ARD-Sondersendung Tagesschau-extra vom
27.11.2013!)
Ich nehme an, dass Sie damit nicht Menschen kleinen Körperwuchses
meinten.
Wen denn dann aber?
Wer in eine Internet-Suchmaschine „Kleine Leute“ eingibt, erhält
Angebote für Hüpfburgen mit aufblasbaren Eventmodulen und Hinweise auf einen
Film aus dem Jahre 1958 „Kleine Leute mal ganz groß“, der auch unter dem Titel „Turboscharfe
Ferien“ gezeigt wurde. In dem Film geht es um vier Berliner Großstadtkinder,
die ihre Ferien in Gastfamilien verbringen, wobei Herr Wurst herausfindet, dass
Sabinchen seine uneheliche Tochter!
Aber auch Wortzusammenstellungen wie „Kleine Leute – Großer Gott“,
„Kleine Leute – Große Reise“ werden unter der Sucheingabe als Ergebnis
angezeigt!
Gemeint sind damit durchweg Kinder.
Aufgefallen sind mir auch entwürdigende Witze wie dieser: „Bei
deiner Größe bist Du der ideale Fußballspieler: Immer auf Ballhöhe!“
Nach dem logischen Ausschlussverfahren bleibt mir nur die
Möglichkeit anzunehmen, dass Sie mit „kleinen Leuten“ die Gruppe der Mitbürger
Deutschlands gemeint haben müssen, die über ein geringes Einkommen verfügen!
Diese Menschen als „kleine Leute“ zu bezeichnen, ist eine
Schmähung!
Männer mit geringem Einkommen sterben in Deutschland 11
Jahre früher als Männer mit gutem Einkommen, zu denen auch Sie gehören, Herr
Gabriel.
Diese Männer sterben nicht nur früher, weil sie im Durchschnitt
schwerer arbeiten müssen als Männer mit gutem Einkommen, für härtere Arbeit schlechter
bezahlt werden, sondern auch, weil die schlecht bezahlte Arbeit eher verachtet
als geachtet wird und eher in Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit mündet.
Dass Sie vorgeben, sozial zu handeln und soziale Politik zu
gestalten, zugleich diejenigen, denen geholfen werden soll, aber als „kleine
Leute“ diffamieren und beleidigen, ist bezeichnend und entlarvend.
Wer so zu erwachsenen Mitmenschen spricht, kann nicht mit seinem
Herzen sozial empfinden!
Ich hoffe nicht auf eine Entschuldigung der Ehrenkränkung,
ich handele in erster Linie aus dem Wunsch, meinem Gewissen zu genügen.
Ich bitte Sie hiermit aber, die Bezeichnung erwachsener Mitmenschen als „kleine Leute“ in Zukunft zu unterlassen,
denn diese Bezeichnung ist ehrverletzend und herablassend!
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Stenkamp